Deep-Learning-System erforscht das Innere von Materialien von ausserhalb

Vielleicht können Sie aufgrund des Einbands schon erzählen, was in einem Buch steht. Laut Forschern des MIT lässt sich dies jetzt auch für Materialien aller Art tun, sei es ein Flugzeugteil oder ein medizinisches Implantat. Mit ihrem neuen Ansatz können Ingenieure herausfinden, was im Inneren des Materials vor sich geht, indem sie einfach die Eigenschaften der Materialoberfläche beobachten.

An der Oberfläche erkennen, was sich im Innern verbirgt: Ein am MIT entwickeltes Deep-Learning-System beurteilt Materialeigenschaften mit einer neuen Methodik. (Symbolbild; Pixabay.com)

Von aussen beurteilen, wie es im Innern von Materialien aussieht? Das ist technisch grundsätzlich möglich, etwa mit Röntgentechnik. Oder wenn Zerstörungen keine Rolle spielen, kann man das Material einfach aufschneiden. Ein neues Verfahren, das auf KI beruht, macht nun den Umstand zu Nutze, das vieles, was im Innern eines Materials passiert, auch einen Einfluss auf die Oberfläche hat. Ein Forscherteam des MIT nutzte dazu Deep Learning, um einen grossen Satz simulierter Daten über die äusseren Kraftfelder von Materialien mit der entsprechenden inneren Struktur zu vergleichen und daraus ein System zu entwickeln, das anhand der Oberflächendaten zuverlässige Vorhersagen über das Innere treffen kann. Die Ergebnisse wurden vom Doktorand Zhenze Yang und dem Professor für Bau- und Umwelttechnik Markus Bühler in der Zeitschrift „Advanced Materials“ veröffentlicht.

Wenn Oberflächenstrukturen auf das Innere verweisen

Gemäss Markus Bühler sei dies ein häufiges Problem im Ingenieurwesen: „Wenn man ein Stück Material hat – vielleicht eine Autotür oder ein Teil eines Flugzeugs – und wissen will, was sich im Inneren des Materials befindet, kann man die Dehnungen an der Oberfläche messen, indem man Bilder aufnimmt und berechnet, wie viel Verformung man hat. Aber man kann nicht wirklich in das Innere des Materials schauen. Das kann man nur, indem man es zerschneidet und dann ins Innere schaut, um zu sehen, ob es dort irgendwelche Schäden gibt.“ Röntgentechnik wiederum ist teuer und erfordert sperrige Geräte. „Wir haben uns also grundsätzlich die Frage gestellt: Können wir einen KI-Algorithmus entwickeln, der sich anschaut, was an der Oberfläche vor sich geht, die wir entweder mit einem Mikroskop oder einem Foto leicht erkennen können, oder der einfach nur Dinge an der Oberfläche des Materials misst, und dann versucht herauszufinden, was im Inneren vor sich geht?“ Zu diesen inneren Informationen könnten Beschädigungen, Risse oder Spannungen im Material oder Details der inneren Mikrostruktur gehören. Die gleiche Art von Fragen kann auch für biologisches Gewebe gelten, fügt Markus Bühler hinzu. „Gibt es dort eine Krankheit, eine Art Wachstum oder Veränderungen im Gewebe?“ Ziel war es, ein System zu entwickeln, das diese Art von Fragen auf eine völlig nicht-invasive Weise beantworten kann.

Mit Deep-Learning-System dem Innenleben von Materialien auf der Spur

„Um dieses Ziel zu erreichen, musste man sich mit komplexen Fragestellungen auseinandersetzen, unter anderem mit der Tatsache, dass es für viele dieser Probleme mehrere Lösungen gibt“, so Bühler. So können beispielsweise viele verschiedene interne Konfigurationen die gleichen Oberflächeneigenschaften aufweisen. Um mit dieser Mehrdeutigkeit umzugehen, „haben wir Methoden entwickelt, die uns alle Möglichkeiten, im Grunde alle Optionen, die zu diesem bestimmten [Oberflächen-]Szenario führen könnten, aufzeigen“.

Ein mögliches Anwendungsfeld: Zerstörungsfreie Materialprüfung. (Bild: Techexplore.com / MIT)

Bei der von ihnen entwickelten Technik wurde ein KI-Modell anhand grosser Datenmengen über Oberflächenmessungen und die damit verbundenen inneren Eigenschaften trainiert. Dazu gehörten nicht nur einheitliche Materialien, sondern auch solche, die verschiedene Materialien in Kombination enthalten. „Einige neue Flugzeuge werden aus Verbundwerkstoffen hergestellt, so dass sie absichtlich aus verschiedenen Phasen bestehen“, sagt Bühler. „Und natürlich wird auch in der Biologie jede Art von biologischem Material aus mehreren Komponenten hergestellt, die sehr unterschiedliche Eigenschaften haben, wie z. B. bei Knochen, wo es sehr weiche Proteine und sehr starre Mineralstoffe gibt.“

Breit anwendbare Methode

Die Technik funktioniert sogar bei Materialien, deren Komplexität noch nicht vollständig verstanden ist, sagt Markus Bühler. „Bei komplexem biologischem Gewebe verstehen wir nicht genau, wie es sich verhält, aber wir können das Verhalten messen. Wir haben keine Theorie dafür, aber wenn wir genügend Daten gesammelt haben, können wir das Modell trainieren.“

Zhenze Yang sagt, dass die von ihnen entwickelte Methode breit anwendbar ist. „Sie ist nicht nur auf Probleme der Festkörpermechanik beschränkt, sondern kann auch in anderen technischen Disziplinen wie der Strömungsdynamik und anderen Bereichen angewendet werden.“ Bühler fügt hinzu, dass sich damit eine Vielzahl von Eigenschaften bestimmen lässt, nicht nur Spannung und Dehnung, sondern auch Flüssigkeits- oder Magnetfelder, zum Beispiel die Magnetfelder in einem Fusionsreaktor. Es ist „sehr universell, nicht nur für verschiedene Materialien, sondern auch für verschiedene Disziplinen“.

Yang sagt, dass er erstmals über diesen Ansatz nachdachte, als er Daten über ein Material untersuchte, bei dem ein Teil der von ihm verwendeten Bilder unscharf war, und er sich fragte, wie es möglich sein könnte, die fehlenden Daten in dem unscharfen Bereich „auszufüllen“. „Wie können wir diese fehlenden Informationen wiederherstellen?“, fragte er sich. Als er weiter las, stellte er fest, dass dies ein Beispiel für ein weit verbreitetes Problem war, das als inverses Problem bekannt ist, bei dem versucht wird, fehlende Informationen wiederherzustellen.

Wie das Deep-Learning-System für Materialeigenschaften entwickelt wurde

Bei der Entwicklung der Methode handelte es sich um einen iterativen Prozess, bei dem das Modell vorläufige Vorhersagen machte, diese mit den tatsächlichen Daten über das betreffende Material verglich und dann das Modell weiter verfeinerte, um diese Informationen zu berücksichtigen. Das daraus resultierende Modell wurde an Fällen getestet, in denen die Materialien gut genug bekannt sind, um die tatsächlichen inneren Eigenschaften zu berechnen, und die Vorhersagen der neuen Methode stimmten gut mit den berechneten Eigenschaften überein.

Zu den Trainingsdaten gehörten Bilder der Oberflächen, aber auch verschiedene andere Messungen von Oberflächeneigenschaften, darunter Spannungen sowie elektrische und magnetische Felder. In vielen Fällen verwendeten die Forscher simulierte Daten, die auf einem Verständnis der zugrunde liegenden Struktur eines bestimmten Materials beruhten. Und selbst wenn ein neues Material viele unbekannte Eigenschaften hat, kann die Methode eine Annäherung erzeugen, die gut genug ist, um Ingenieuren eine allgemeine Richtung für weitere Messungen vorzugeben.

Die beiden Forscher gehen davon aus, dass diese Methode, die über die Website GitHub für jedermann frei zugänglich ist, zunächst vor allem in Laborumgebungen angewandt wird, zum Beispiel beim Testen von Materialien für Soft-Robotik-Anwendungen.

Quelle: Techexplore.com

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