Extremrisiken: „Pokern für Fortgeschrittene“

Extremrisiken steigen laut dem Konjunkturbericht von Euler Hermes „High Stakes Games“ durch weltweit neue Rekorde an Liquiditätsbeständen, lange Forderungslaufzeiten und zunehmende Grossinsolvenzen.

Insgesamt gehen die Analysten von einem Rückgang der weltweiten Insolvenzen von 1% aus, bevor sie 2018 ansteigen dürften. (Bild: depositphotos_wavebreakmedia)

Bezüglich Extremrisiken steht die globale Wirtschaft vor grossen Herausforderungen. Laut Euler Hermes, kursieren grössere Risiken. Das belegt der aktuelle Konjunkturbericht “High Stakes Game“, in dem die Analysten von neuen Rekordständen der Bargeldbestände in Unternehmen ausserhalb des Finanzsektors ausgehen.

Drüber hinaus leiden Unternehmen weiterhin unter hohen Zahlungsverzügen, während Insolvenzen bei Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 50 Millionen Euro weiter stark ansteigen.

Zahlungsverzüge in Luftfahrtindustrie

„Im Umfeld einer weltweit stabilen Lage und einer endlich anlaufenden konjunkturellen Erholung lauert damit ein hohes Mass an Divergenz und Risiko“, sagte Ludovic Subran, Chefökonom bei Euler Hermes. „Die Situation spitzt sich durch die Konzentration von Bargeldbeständen auf Rekordniveaus in einigen Regionen und Industrien zu, während das Ausmass und die Häufigkeit von grossen Unternehmensinsolvenzen weiter zunimmt.“ Als Beispiele nennt er die Grossinsolvenzen im Einzelhandel und dem Dienstleistungssektor, insbesondere in den USA, aber auch steigende Unternehmenskonkurse in China und Brasilien sowie längere Zahlungsverzüge in China und der Luftfahrtindustrie.

„Die Extremrisiken nehmen zu. Das müssen wir in den kommenden Monaten aufmerksam beobachten“, so Subran.

Insolvenzen von Grossunternehmen

Insgesamt gehen die Analysten von Euler Hermes in diesem Jahr von einem Rückgang der weltweiten Insolvenzen von 1% aus, bevor sie 2018 wieder um 1% ansteigen dürften. Allerdings werden die durchschnittlichen Konkurse laut der Studie in 20 Ländern über den Durchschnitt vor der Finanzkrise 2008 steigen. Nach einem deutlichen Rückgang der Insolvenzen in den vergangenen drei Jahren ist das globale Bild von uneinheitlichen regionalen Entwicklungen geprägt. Auch gab es einen starken Anstieg der Insolvenzen von Grossunternehmen im ersten Quartal 2017.

So mussten im ersten Quartal dieses Jahres weltweit 74 Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 50 Millionen Euro Insolvenz anmelden. Das sind 30 mehr als in den ersten drei Monaten des Vorjahres. Der kumulierte Umsatz der insolventen Konzerne belief sich auf insgesamt 19,1 Milliarden Euro und entspricht einem Anstieg um 34% gegenüber dem ersten Quartal 2016. Allein die grössten 20 Insolvenzen stehen dabei für einen kumulierten Umsatz von rund 13,4 Milliarden Euro und damit für etwa 70% der gesamten Insolvenzsumme weltweit in diesem Zeitraum.

Während acht dieser Grossinsolvenzen in den USA registriert wurden, hatte Europa den höchsten Anstieg zu verschmerzen: bei durchschnittlich mehr als einem von drei der grossen Insolvenzen war ein europäischer Konzern betroffen.

Stefan Ruf, CEO von Euler Hermes Schweiz, warnt vor den konkreten Konsequenzen: „Die Insolvenz eines grossen Unternehmens kann immer auch einen Domino-Effekt auslösen. Wenn Dienstleister in einer Wertschöpfungskette davon überrascht werden, können sie selbst in Schwierigkeiten geraten. Damit können grosse Konkurse beispielsweise von amerikanischen oder britischen Einzelhandelsunternehmen über Zulieferer auch die Elektronik- oder die Textilbranche anstecken. Kein Sektor kann von dieser Entwicklung ausgeschlossen werden. Deswegen sollte dieser Wake-Up-Call bestenfalls bei jedem CFO eines Unternehmens ankommen.“

Technologie-Unternehmen mit höchster Liquidität

Im letzten Jahr haben Liquiditätspositionen in Unternehmensbilanzen, die nicht zum Finanzsektor gehören, eine Rekordsumme in Höhe von 7 Billionen USD erreicht. Seit der Finanzkrise 2008 hat sich das Bargeldvolumen damit von 3,5 Billionen USD verdoppelt. Der Anstieg entspricht einem Plus von fast 3% im Vergleich zu 2015 und von 34% im Vergleich zu 2010. In der Summe entspricht es mittlerweile fast 10% des weltweiten Bruttoinlandsproduktes (BIP).

Regional verteilt sich die hohe Liquidität vor dem Hintergrund von Steueroptimierungen zu 30% auf amerikanische Unternehmen, während chinesische Unternehmen ihr Bargeldvolumen seit 2010 verdoppelt haben. Der bemerkenswerteste Anstieg ist in den asiatisch-pazifischen Ländern zu verzeichnen, in denen der Anteil an den globalen Barreserven von knapp 36% in 2007 bis auf fast 44% in 2016 angestiegen ist. In Westeuropa liegt der Anteil deutlich darunter und verteilt sich uneinheitlich auf die verschiedenen Länder.

Der Technologiesektor hält nach der Studie von Euler Hermes das höchste Bargeldvolumen und überholt damit die Öl- und Gas- sowie die Automobilbranche. Das trifft vor allem auf die USA zu, wo Technologieunternehmen 71% des weltweiten Sektor-Barbestands halten. Damit entfallen 916 Milliarden Euro von insgesamt 2,1 Billionen USD, die US-Unternehmen in ihren Bilanzen ausweisen, auf Technologieunternehmen. Im Vergleich dazu sind die Liquiditätspositionen im Maschinen- und Anlagenbau sowie im Bereich der Haushaltsgeräte stark rückläufig.

Diese Entwicklung werden die Experten von Euler Hermes weiterhin aufmerksam beobachten.

Stichwort: Zahlungsmoral in Europa

Unternehmen in der Schweiz, Österreich, Neuseeland, den Niederlanden, Dänemark, den USA und in Australien gehören mit Forderungslaufzeiten bis durchschnittlichen 50 Tagen Forderungslaufzeit zu denen, die am schnellsten bezahlt werden. Am längsten warten Firmen in der Türkei (durchschnittlich 80 Tage), in Italien (85), Griechenland (88) und China (89) auf den Geldeingang. Das neue Schlusslicht China hat damit den höchsten Stand seit neun Jahren erreicht.

Auch in Westeuropa warteten Unternehmen 2016 mit durchschnittlich 61 Tagen zumindest einen Tag länger auf ihre Forderungen. In den Mittelmeerländern hat sich die Zahlungsmoral jedoch insgesamt verbessert. Die Kluft zwischen den Forderungslaufzeiten in den verschiedenen europäischen Ländern scheint insgesamt kleiner zu werden.

Auf Sektorenebene liegen die Forderungslaufzeiten der „Upstream“- Industriebereiche wie der Chemieindustrie, Bauunternehmen, der Informations- und Kommunikationstechnologie sowie im Maschinenbau über dem weltweiten Durchschnitt von 64 Tagen. Im Vergleich verzeichnete die Metallbranche nur durchschnittliche 56 Tage bis zum Zahlungseingang.

Einzelhandelsunternehmen mit direkten Verkaufsstellen wie beispielsweise im Lebensmittel-, Haushaltsgüter- oder Transportsegment liegen für gewöhnlich auch unter dem weltweiten Durchschnitt.

Der vollständige Konjunkturbericht „High Stakes Game“ (Englisch) finden Sie unter diesem Link

(Visited 103 times, 1 visits today)

Weitere Artikel zum Thema