Krisen: Empfehlungen von Risikoforschern

Führende Risikoforscher aus der Westschweiz und aus Deutschland gehen in einem im «Journal of Risk Research» erschienen Artikel auf die Treiber und Schlüsselfaktoren einer Pandemie ein. Darüber hinaus geben sie konkrete Empfehlungen, wie wir uns für künftige Krisen besser vorbereiten können.

Risikoforschende gaben schon vor der eigentlichen Corona-Krise Empfehlungen ab. Gleichwohl, obschon es frühzeitige Warnungen vor einer exponentiell wachsenden Pandemie gab, wirkten die meisten politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger erst unvorbereitet oder zögerlich, und erst als sich COVID-19 von China aus im März 2020 in der ganzen Welt ausbreitete, konsultierte man Risikoexperten.

Inzwischen hat die Krise zu beispiellosen Einschränkungen geführt und die schwerste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst. Trotz der weltweit anhaltenden Pandemie gehen Menschen auf die Strasse, fordern allgemein mehr Wohl für sich ein, und in Industrie und Wirtschaft machen neue digitale Technik- und Fortschrittslösungen die Runde.

Die Westschweizer Aengus Collins, Marie- Valentine Florin – beide an der EPF Lausanne im International Risk Governance Center tätig – und der deutsche IASS-Direktor Ortwin Renn präsentieren in ihrem Artikel «COVID-19 risk governance: drivers, responses and lessons to be learned», der im April 2020 im «Journal of Risk Research» erschienen ist, die eigentlichen Schlüsselfaktoren von Krisen.

Im Folgenden die Erkenntnisse der Risikoforschenden und Empfehlungen, wie sich unsere hochtechnisierte Gesellschaft besser gegen Krisen rüstet.

Ein Rahmenwerk für die Krise

Der Artikel gibt einen Überblick über die Ausbreitung von COVID-19 und beschreibt sechs Ursachen der Krise: die exponentielle Infektionsrate, die internationale Verflechtung, mangelnde Kapazitäten der Gesundheitssysteme in vielen Ländern, Kompetenzwirrwarr und fehlende Weitsicht bei vielen staatlichen Behörden, die Schwierigkeiten, die wirtschaftlichen Auswirkungen des Shutdowns parallel zu den gesundheitlichen Folgen zu bedenken, sowie die von der Finanzkrise von 2008 herrührenden Schwächen im Kapitalmarkt. Bei der Entwicklung von Lösungsvorschlägen nutzt das Autorenteam das von Ortwin Renn mitentwickelte Rahmenwerk des International Risk Governance Councils.

So gilt es, mehr Kapazitäten für eine global wirksame wissenschaftlich-technische Bewertung der Risiken zu schaffen, um vor allem zuverlässige Frühwarnsysteme bereitzustellen. Die neu entwickelte Forschung bedarf der ergänzenden Analyse der Risikowahrnehmung – also der individuellen und gesellschaftlichen Meinungen, Sorgen und Wünsche. Denn nur wenn man diese kennt und beherzigt, kann man effektive Krisenkommunikation betreiben und entsprechend wirksame Verhaltensvorschriften erlassen.

Eine Schlüsselaufgabe für Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger ist die Risikoevaluierung: Ob und in welchem Umfang sind Massnahmen zur Risikominderung notwendig? Welche Zielkonflikte treten bei der Gestaltung von Massnahmen und Einschränkungen auf und wie lassen sich diese nach anerkannten ethischen Kriterien auch bei weitgehender Unsicherheit auflösen?

Aus der Evaluierung folgen dann bewertete Optionen für das Risikomanagement. Es geht um kollektiv verbindliche Entscheidungen über Massnahmen, um insgesamt das Leid der betroffenen Bevölkerung zu minimieren.

Es umfasst auch Strategien zur Verringerung unerwünschter Nebenwirkungen. Eine wesentliche Voraussetzung für die Bewältigung der Krise ist eine abgestimmte Krisen- und Risikokommunikation, deren Wirksamkeit von kommunikationswissenschaftlicher Fundierung und professioneller Umsetzung abhängt.

Die Forschenden leiteten zehn Empfehlungen ab:

  1. Risiken an der Quelle abfangen: also im Fall von Pandemien die Möglichkeit verringern, dass Viren vom Tier auf den Menschen übertragen werden.
  2. Auf Warnungen reagieren: Dazu gehören die Überprüfung nationaler und internationaler Risikobewertungen, ausserdem müssen im Voraus bessere Schutzvorkehrungen für Risiken mit besonders gravierenden Auswirkungen ausgearbeitet werden.
  3. Zielkonflikte beachten: Massnahmen zur Verringerung eines bestimmten Risikos haben Auswirkungen auf andere Risiken. Unerwünschte Nebenwirkungen müssen in die Risikobewertung einfliessen.
  4. Rolle von Technologie berücksichtigen: Wie können maschinelles Lernen und andere Technologien bei der Pandemiebewertung, -vorsorge und -reaktion von Nutzen sein?
  5. In Resilienz investieren: Gewinne an organisatorischer Effizienz haben kritische Systeme wie das Gesundheitswesen anfällig gemacht. Nun muss deren Belastbarkeit gestärkt werden, etwa durch Verringerung von Abhängigkeiten bei wichtigen Produkten und Dienstleistungen.
  6. Konzentration auf die wichtigsten Knoten im System: Im Fall einer Pandemie ist eine frühzeitige Einschränkung des Flugverkehrs wirkungsvoll. Für solche Massnahmen könnte ein globaler Notfallfonds eingerichtet werden.
  7. Stärkung der Verknüpfung von Wissenschaft und Politik: Länder, in denen die Übermittlung von Informationen und Empfehlungen aus der Wissenschaft an die Politik gut funktioniert hat, waren erfolgreicher in der Bekämpfung des Coronavirus.
  8. Staatliche Kapazitäten aufbauen: Der Umgang mit systemischen Risiken sollte eher als kontinuierlicher Bestandteil guter Regierungsführung denn als Reaktion auf Notfälle aufgefasst werden.
  9. Bessere Kommunikation: Die Kommunikation zu COVID-19 war in einer Reihe von Ländern langsam oder fehlerhaft. Eine Lösung hierfür wäre die Einrichtung nationaler und internationaler Risikoinformations- und Kommunikationseinheiten.
  10. Über gesellschaftliche Brüche reflektieren: Die Corona-Krise zwingt Menschen und Organisationen, mit neuen Lebens- und Arbeitsmustern zu experimentieren. Jetzt ist es an der Zeit, zu überlegen, welche Veränderungen langfristig als wünschenswert beibehalten werden sollten.
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