Materialforschung im Weltraum mit Schweizer Beteiligung

Die Empa betreibt zusammen mit Wissenschaftlern aus Ulm und Neuenburg Materialforschung im Weltraum: Auf der Weltraumstation ISS werden superharte und korrosionsfeste Legierungen aus Palladium, Nickel, Kupfer und Phosphor – auch «metallische Gläser» genannt – untersucht. Mit an Bord ist auch eine Hightech-Firma aus La Chaux-de-Fonds, die Materialien für die Uhrenindustrie herstellt.

Materialforschung in der Schwerelosigkeit: Wissenschaftler der Universität Ulm bei einem Schmelzversuch im Zero-G-Airbus der Firma Novespace. (Foto: Airbus Defence and Space)

Metallisches Glas ähnelt farblich dem Weissgold, hat aber die Härte von Quarzglas. Gleichzeitig ist es elastisch und widerstandsfähig gegen Salze oder Säuren. Es kann im 3D-Druck verarbeitet werden, etwa für medizinische Implantate, oder auch im Spritzgussverfahren. Bis es aber soweit ist, muss noch viel Materialforschung betrieben werden. An der Empa beschäftigt sich Antonia Neels, die Leiterin des Empa-Röntgenzentrums, mit diesem geheimnisvollen Material. Ihr Team untersucht die innere Struktur von metallischem Glas mit Hilfe verschiedener Röntgenmethoden und entdeckt dadurch Zusammenhänge mit Eigenschaften wie Verformbarkeit oder Bruchverhalten. Auch für Profis der Materialwissenschaften sind metallische Gläser eine harte Nuss: «Je genauer wir die Proben anschauen, desto mehr Fragen tauchen auf«, sagt Antonia Neels. Den Ehrgeiz der Forschenden stachelt das umso mehr an.

Für die Materialforschung in den Weltraum

Nun soll in einigen Monaten eine Probe von metallischem Glas ins All fliegen. Auf der internationalen Raumstation ISS werden die Materialeigenschaften in der Schwerelosigkeit untersucht. Eine Forschergruppe unter Beteiligung der Empa hat die Proben vorbereitet und bei der europäischen Raumfahrtagentur ESA zum Weltraumflug angemeldet. Die Speziallegierung liefert die Firma PX Group aus La Chaux-de-Fonds, die Materialien für die Uhrenindustrie und die Zahnmedizintechnik herstellt. Mit im Team sind auch die Forscher Markus Mohr und Hans-Jörg Fecht vom «Institute of Functional Nanosystems» der Universität Ulm sowie Roland Logé vom «Laboratory of Thermomechanical Metallurgy» der EPFL in Neuchâtel.

Die Herstellung von metallischem Glas ist nicht ganz einfach: Im Vergleich zu Fensterglas müssen die speziell ausgewählten Metall-Legierungen bis zu hundertfach schneller abgekühlt werden, damit sich die Metallatome nicht zu Kristallgittern zusammenlagern. Nur wenn die Schmelze schockartig erstarrt, bildet sie ein Glas. In der Industrie werden dünne Folien metallischer Gläser erzeugt, indem die Schmelze zwischen schnell rotierende Kupferwalzen gepresst wird. Forscher giessen bisweilen ihre Proben in Gussformen aus massivem Kupfer, das die Wärme besonders gut abführt. Doch grössere, massive Werkstücke aus metallischem Glas sind mit diesen Methoden nicht machbar.

Der 3D-Druck hilft weiter

Ein möglicher Ausweg aus dem Dilemma ist der 3D-Druck im sogenannten Pulverbettverfahren. Ein feines Pulver der gewünschten Legierung wird für wenige Millisekunden mit einem Laser erhitzt. Die Metallkörnchen verschmelzen mit ihren Nachbarn zu einer Art Folie. Nun wird eine dünne Pulverschicht darübergelegt, der Laser verschmilzt das frisch aufgelegte Pulver mit der darunterliegenden Folie, und so entsteht nach und nach aus vielen kurz erhitzten Pulverkörnchen ein dreidimensionales Werkstück.

Empa-Forscherin Antonia Neels leitet das Zentrum für Röntgenanalytik. Sie ist Expertin für metallische Gläser und wird die Proben aus der ISS analysieren. (Bild: Empa)

Für diese Methode ist eine feine Dosierung des Laserpulses notwendig. Brennt der Laser zu schwach aufs Pulver, verschmelzen die Partikel nicht miteinander, und das Werkstück bleibt porös. Brennt der Laser zu stark, dann schmilzt er auch die unteren Schichten erneut auf. Durch das mehrfache Aufschmelzen können sich die Atome neu anordnen, sie bilden Kristalle – und damit ist es mit dem metallischen Glas vorbei.

Mit Röntgenmethoden den Geheimnissen auf der Spur

Im Röntgenzentrum der Empa hat das Team von Antonia Neels schon einige solcher Proben aus 3D-Druck-Experimenten analysiert. Die Ergebnisse werfen indes stets neue Fragen auf. «Manches deutet darauf hin, dass sich die mechanischen Eigenschaften der Gläser nicht verschlechtern, sondern im Gegenteil sogar verbessern, wenn die Probe kleine kristalline Anteile enthält», so Neels. «Nun gehen wir der Frage nach, wie gross dieser Kristallanteil im Glas sein muss, und welche Art Kristalle sich bilden müssen, um etwa die Biegsamkeit oder die Schlagfestigkeit des Glases bei Raumtemperatur zu erhöhen.»

Um dem Kristallwachstum in einer ansonsten amorphen Umgebung auf die Spur zu kommen, nutzen die Expertinnen und Experten der Empa verschiedene Röntgenmethoden. «Mit Strahlung verschiedener Wellenlängen können wir etwas über die Struktur der kristallinen Anteile erfahren, aber auch Nahordnungsphänomene der Atome in der Probe ermitteln – also die Eigenschaften der chemischen Bindungen bestimmen», erläutert Neels. Zusätzlich verrät die bildgebende Röntgenanalyse, das sogenannte mikro-CT, etwas über Dichteschwankungen in der Probe. Dies deutet auf Phasenentmischung und Kristallbildung hin. Die Dichteunterschiede zwischen den glasigen und den kristallinen Bereichen sind allerdings nur winzig klein. Es braucht daher eine detaillierte Bildbearbeitung, um die dreidimensionale Verteilung der kristallinen Anteile sichtbar machen zu können.

Weshalb Materialforschung in der Schwerelosigkeit?

Die bisherige Materialforschung anhand von 3D-Verfahren hat ihre Grenzen. Vor allem die Frage, bei welchen Temperaturen die erwähnten Kristalle entstehen und wie sie wachsen, muss noch geklärt werden. Eine Rolle spielen dabei thermo-physikalische Parameter wie Viskosität oder Oberflächenspannung. Experimente auf der ISS bieten für deren Analyse ideale Bedingungen. Um das Verhalten in der Schwerelosigkeit zu proben, wurden als Vorbereitung schon 2019 erste Tröpfchen aus metallischem Glas versuchsweise in Schwebe gebracht, und zwar an Bord eine Airbus A310, der einen sog. Parabelflug durchführte. Im Versuch namens TEMPUS (Tiegelfreies elektromagnetisches Prozessieren unter Schwerelosigkeit) wurde das Glaströpfchen bestehend aus Palladium, Kupfer, Nickel und Phosphor mittels eines Magnetfelds in der Schwebe gehalten und per Induktion auf bis zu 1500 Grad Celsius erhitzt. Während der Abkühlungsphase versetzten zwei kurze Induktionsstrom-Pulse das glühende Tröpfchen in Schwingungen. Eine Kamera zeichnete den Versuch auf. Nach der Landung wurde die Materialprobe im Röntgenzentrum der Empa analysiert. Da aber für eingehendere Analysen eine längere Dauer der Schwerelosigkeit notwendig ist als jene, die auf einem Parabelflug möglich ist, wurde nun eine Materialprobe für einen Flug im europäischen COLUMBUS-Modul der ISS angemeldet. Dort ist seit 2014 der elektromagnetische Schwebeofen ISS-EML installiert. Jeweils 18 Materialproben fliegen mit, werden automatisch durchgewechselt und können von Forschern auf der Erde per Video-Stream beobachtet werden. Das metallische Glas aus der Schweiz geht mit der nächsten Probencharge auf die Reise ins All.

Per Computersimulation zu neuen Gussverfahren

Aus den weit detaillierteren Daten des Weltraumflugs wollen die Forscher eine Computersimulation der Schmelze generieren. Damit sind alle Antworten durch eine Kombination von Experimenten auf der Erde und im All in einem einheitlichen Modell versammelt: Bei welcher Temperatur herrscht welche Viskosität und Oberflächenspannung? Wann bilden sich Kristalle welcher Zusammensetzung, Grösse und Ausrichtung? Wie beeinflusst diese innere Materialstruktur die Eigenschaften des metallischen Glases? Aus all diesen Parametern wollen die Forscher gemeinsam mit dem Industriepartner PX Group eine Herstellungsmethode entwickeln, um das begehrte Material in definierter Form produzieren zu können. In den nächsten Jahren gibt es für die Materialforscherinnen und -forscher in allen beteiligten Teams also noch allerhand zu tun.

Quelle und weitere Informationen: Empa

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