Rollenwechsel

Als Mitarbeiter durch Leistungskraft die Blicke auf sich zu ziehen und sich als Karrierekandidaten zu empfehlen, ist eine Sache. Eine deutlich andere ist, in der neuen Vorgesetztenposition Fuss zu fassen. Im MQ-Interview mit dem Stuttgarter Laufbahnberater und Personalentwickler Stefan Müller wird deutlich, worauf junge Vorgesetzte ihr Augenmerk richten sollten.

Rollenwechsel

 

 

 

Herr Müller, ganz spontan, was ist der häufigste Startfehler?

 

Junge Führungskräfte haben den Vorteil, dass sie noch ohne festgefahrene Muster auf Dinge schauen, Probleme ansprechen und schnörkellos agieren können. Sie treffen aber auf Kollegen und Mitarbeiter, die keine Freude daran haben, von einem Newcomer erklärt zu bekommen, dass alles bisher Gemachte falsch war. Wenn jemand kommt und sagt oder auch nur spüren lässt: «Jetzt machen wir mal alles ganz anders und endlich richtig!», wird er Widerstände auslösen. Sieht er dann in diesen Widerstände nur ein Zeichen der ewig Gestrigen, hat er übersehen, dass es zu jeder Zeit gute Gründe gab, so oder so zu entscheiden und zu handeln. Der Respekt vor dem, was war und ist, und die Wertschätzung der bisher erbrachten Leistung sind elementare Voraussetzungen für eine gute Fortsetzung der Arbeit in nach und nach eigener Sicht- und Handlungsweise. Entsprechendes gilt auch für den pfleglichen Umgang mit dem Vorgänger in Wort und Tat.

Wie sehen diese Widerstände aus?

 

Die oder der junge Vorgesetzte darf in ihrer/seiner neuen Position nie übersehen, dass ein Teil der Mitarbeiter sich sogar dann mit dem Vorgänger solidarisiert, wenn

Respekt vor Leistungen

 

dieser einen schlechten Ruf hatte. Der alte Vorgesetzte war sozusagen das Gewohnte. Jeder neue Vorgesetzte muss sich der Tatsache bewusst sein, dass der Wechsel des Chefs Angst und Unsicherheit hervorruft. Wird das im alltäglichen Umgang nicht bedacht oder wird diese Angst und Unsicherheit gar mit unbedachten Bemerkungen noch geschürt, wird das vordergründigen Opportunismus und Ja-Sagerei auslösen, in Wirklichkeit aber einsam machen oder sogar dazu führen, untergraben zu werden. Das heisst, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden einem ungestüm agierenden jungen Vorgesetzten anhand ihres Vorsprungs beim Prozessund Fachwissen beweisen wollen, auf ihn verzichten zu können. Und erfahrene Mitarbeiter verstehen sich meist gut darauf, unerfahrene Vorgesetzte ins Leere laufen zu lassen.

Bei den ersten Schritten kommt es also vor allem worauf an?

 

Neben dem Respekt gegenüber der bisherigen Leistung und den vorher und heute handelnden Menschen vor allem darauf, Fragen zu stellen und ernsthaft verstehen zu wollen, was die Mitarbeiter tun und warum. Dazu gehört, sich um «den ganzen Menschen » zu kümmern. Die oder der junge Vorgesetzte sollte schon ein wenig mehr wissen von den Mitarbeitern, als dass sie morgens zur Arbeit kommen und abends gehen. Je mehr sie etwas über die privaten Umstände, Anforderungen und Begrenzungen wissen, desto eher können sie auch die passenden und leistbaren Aufgaben zuteilen und Erwartungen formulieren.

Sind junge Führungskräfte damit nicht überfordert?

 

Dass sie dabei in einer schwierigen Situation sind, ist mir wohl bewusst. Gerade ihnen fällt der persönliche Zugang am Anfang besonders schwer. Aber es gibt Möglichkeiten der informellen Begegnung und der Gemeinschaftspflege, die elementar für dieses Thema sind. Wesentlich ist

 

PersönlicheWertschätzung

 

mithin, sich so rasch und so ernsthaft wie möglich mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und deren Aufgaben zu beschäftigen, Zusammenhänge und Restriktionen zu erkennen und – ganz wichtig – Leistungen zu würdigen. Dies sollte eben nicht nur den formalen Vorgängen wie der Leistungsbeurteilung und dem Mitarbeiterjahresgespräch vorbehalten sein, sondern zeitnah und spontan geschehen. Wer Angst davor hat, dass ein Lob beim Mitarbeiter gleich neue Forderungen auslöst, hat übersehen, dass persönliche Wertschätzung in aller Regel weit mehr motiviert als eine Gehaltserhöhung.

Wie gelingt es dann im Weiteren, mit den neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu einer effizienten Leistungsgemeinschaft zusammenzuwachsen?

 

Hier ist nun ein spannender Spagat gefragt, der ganz generell den Reiz und die Schwierigkeit der Führung ausmacht. Die neue Rolle muss angenommen werden. Es bringt überhaupt nichts, den Mitarbeitern zu signalisieren: «Ich bin einer von euch!», oder sich gar mit den Mitarbeitern gegen «die da oben» zu solidarisieren. Also, es braucht das Bewusstsein, die Führungskraft zu sein. Aber: Gleichzeitig muss sich die oder der junge Vorgesetzte davor hüten, zum «Amtshierarchen» zu werden, der je sicherer desto selbstherrlicher wird, immer weniger zuhört und immer mehr qua Position bestimmt. Es kommt also darauf an, alle einzubinden, die Argumente zu hören, aber den Mut zum letzten Wort zu haben.

Stärke demonstrieren ist also nicht falsch …

 

Es ist immer wieder interessant zu hören, dass Mitarbeiter sehr wohl einen starken Chef haben wollen, der klare Vorgaben macht und Ziele setzt, die Spur hält und den Kurs auch nach innen und oben verteidigt. Das bedeutet Berechenbarkeit und damit die Chance, sich zu engagieren und Ergebnisse zu sehen. Weicheier und Wendehälse verwirren die Mitarbeiter, mindern den Wert ihrer Leistung und führen schliesslich in die Resignation. Verbunden damit ist ein zentraler Aspekt guter Führung: eine Delegation, die dem Mitarbeiter Vertrauen entgegenbringt und den Dreiklang Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung einschliesst. Viele Chefs delegieren fühlbar nur das, was sie selbst nicht gerne machen beziehungsweise was ihnen lästig ist. Und sie nehmen die Erfolge der Mannschaft für sich und lassen die Misserfolge beim Mitarbeiter. Solche Chefs vertreiben gute Leute!

Herr Müller, ein junger Vorgesetzter will und muss sich aber auch «nach oben» beweisen.

 

Die Schwierigkeit der Positionierung «nach oben» beginnt mit der Frage, wie viel Zeit man der jungen Führungskraft lässt. Ich erlebe leider, dass man zunächst von einem Jahr Entwicklungszeit spricht und dann nach einem Monat in der neuen Aufgabe schon die Frage stellt, wo denn die sichtbaren Erfolge bleiben. Für die junge Führungskraft stellt sich dann die Aufgabe «Wie führe ich meinen Chef?».

Und wie können junge Vorgesetzte ihr Image beeinflussen?

 

Sie können sehr wohl etwas dafür tun, wie sie gesehen werden. Wenn ich proaktiv berichte, was ich gerade erledigt habe, woran ich arbeite und was ich vorhabe, ist das die eine Seite. Wenn ich aber auch rechtzeitig über Schwierigkeiten informiere, bevor sie ohne mein Zutun beim Vorgesetzten ankommen, ist das souverän. Der Vorgesetzte wird es in aller Regel danken, nicht überrascht worden zu sein oder von seinem eigenen Chef auf dem falschen Fuss erwischt zu werden. Und es ist auch ein Zeichen von «junger Weisheit», den Chef zu fragen und ihn einzubinden, um von seiner Erfahrung und seinem Wissen – sachlich und taktisch – zu lernen.

Wie gelingt es ihnen, sich langsam, aber sicher ein unverwechselbares «Gesicht» zu geben?

 

Hier beobachte ich eine erfreuliche Veränderung bei der jüngeren Führungskräftegeneration. Ich erlebe dort eine Tendenz zur Authentizität, die ich mehr als begrüsse. Konkret heisst das, dass Fassadenschieben, Gockeln und gut Aussehen um jeden Preis und auf Kosten anderer ein wenig aus der Mode kommen. Stattdessen versuchen viele jüngere Führungskräfte durch Engagement und Kompetenz zu glänzen. Das muss – wie schon erwähnt – aber auch an passender Stelle gezeigt werden. Deshalb sollte gerade die junge Führungskraft alle Möglichkeiten nützen, die «Bühne» zu betreten: vor dem Vorstand einen Auftritt wahrzunehmen, im Meeting zu präsentieren, auch extern mal einen Vortrag zu halten. Je mehr positive Bilder zusammen kommen, desto eher bleiben Gesicht und Name haften mit dem entsprechenden Erinnerungseffekt an der richtigen Stelle.

Spielt nicht auch das Verhalten sich selbst gegenüber eine erhebliche Rolle, um nicht unverhofft auf der Karriereleiter auszurutschen?

 

Diesen Punkt halte ich für extrem wichtig, und die aktuellen Zahlen zu Themen wie Burn-out, Depressionen, psychosomatischen Erkrankungen und Partnerschaftsproblemen sind verknüpft mit einer laufenden «Verjüngung» dieser Phänomene. Eine gute Führungskraft ist auch gut zu sich selbst. Ein junger Chef sollte nicht beweisen, dass er jeden Tag 12 bis 14 Stunden packt, sondern dass er in zehn Stunden sein Pensum bewältigt. Und er sollte am nächsten Morgen nicht mit Hundemiene erklären, wie schwer er es hat, sondern ausgeglichen und frisch erscheinen. Auch die junge Führungskraft sollte sich stets fragen, ob sie in diesem Unternehmen und an dieser Stelle noch bei sich selbst sein und für sich selbst sorgen kann.

Aus Ihrer Sicht und Erfahrung: Was schwächt junge Vorgesetzte im Umgang mit sich selbst am meisten?

 

Wir erleben in unserer multimedialen und globalisierten Gesellschaft einen schleichenden Prozess der permanenten mentalen Verfügbarkeit. Dazu gehört, dass wir im Urlaub erreichbar bleiben, am Abend, am Wochenende und

 

Probleme offen diskutieren

 

im internationalen Geschäftsverkehr für die Asiaten schon kurz nach Mitternacht und für die Amerikaner bis kurz vor Mitternacht. Wer hier keine Grenzen setzt, ist auf dem Weg der Selbstaufgabe. Dazu haben wir noch diverse Kanäle der Kommunikation, neben Telefon, SMS und E-Mail eben auch diverse soziale Netze. Dies bedeutet nicht nur zeitliche, sondern vor allem mentale Beanspruchung.

Der Mensch ist nicht für den Dauerbetrieb ausgelegt?

 

Ganz und gar nicht. Nach meinem Eindruck werden viele Entscheidungen nicht nur deshalb immer kurzfristiger und laufend korrigiert, weil sich die Umwelt so schnell verändert, sondern auch deshalb, weil keiner mehr Zeit zum Überlegen hat. Für mich stellt sich immer die Frage, was der Einzelne selbst dazu beitragen kann. Dazu gehört für mich, meine Mitarbeiter nicht mit Nachrichten zu bombardieren und ihnen damit zu zeigen, dass es auch mir gegenüber anders geht. Und zum Beispiel auch keine Flut an Meetings mit unklarer Agenda und ewigen Diskussionen anzusetzen und zuzulassen. Ich wache also auch dadurch über mich selbst, indem ich auf die anderen aufpasse, sie pfleglich behandle.

Wann wird Ehrgeiz zur Gefahr und Falle?

 

Wenn ich in Gedanken schon beim nächsten Karriereschritt bin, während ich meine neue Position gerade antrete. Wenn ich also die jetzige Aufgabe nur als Sprungbrett sehe, anstatt dort innerlich anzukommen. Es gibt auch eine gewisse Tendenz in manchen Unternehmen, hoffnungsvolle Nachwuchskräfte nach dem ersten grösseren Erfolg oder einem erfolgreich erledigten Projekt gleich wieder weiterzuschicken. Manchmal sind damit sogar persönliche Ziele der Führungskräfte verbunden. Bevor jemand Fuss gefasst hat in seiner Verantwortung, kann er noch nicht einmal beurteilen, wie lange er dort reifen sollte bis zum nächsten Schritt. Und er sieht die Folgen seines Handelns nicht, weder fachlich noch personell. Letztlich wird er nicht zur Persönlichkeit,

 

Gut zu sich selbst sein

 

sondern bleibt Funktionsträger und Marionette. Es braucht also genügend lange Etappen, um verantwortlich zu werden für sein Handeln und souverän als Vorgesetzter.

 

 

 

 

 

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