Stromhandel unter Nachbarn

In Walenstadt wurde im Rahmen eines Pilotprojekts ein lokaler Strommarkt unter 37 Parteien voll automatisiert über eine Blockchain erprobt. Mit der anstehenden Revision des Stromversorgungsgesetzes will der Bundesrat den Strommarkt bald für alle Kunden öffnen. Damit könnten lokale Strommärkte und die erneuerbare Stromproduktion einen Boom erleben.

Im Quartier Schwemmiweg in Walenstadt wurde mit Strom gehandelt – automatisch über eine Blockchain. Insgesamt 37 Parteien hatten sich im Schwemmiweg zum gemäss Eigenaussage «ersten lokalen Strommarkt der Schweiz» zusammengeschlossen – 28 Produzenten mit einer eigenen Solarstromanlage und 9 reine Konsumenten. Und so funktionierte die blockchainbasierte Strombörse: Das lokale Energieversorgungsunternehmen Wasser- und Elektrizitätswerk Walenstadt stellte sein Verteilnetz zur Verfügung und kaufte oder lieferte Strom, wenn im Schwemmiweg gerade zu viel oder zu wenig produziert wurde. Die Konsumenten gaben ihrerseits über ein Webportal ihre Preispräferenzen an. Die Produzenten wiederum, die gleichzeitig auch als Konsumenten agierten, gaben auf diesem an, zu welchen Bedingungen sie ihren überschüssigen Solarstrom im Quartier abgeben wollten. Der Rest lief vollautomatisch über die Blockchain: Spezielle Stromzähler – sogenannte Smart Meter, die Daten digital senden und empfangen können und als Schnittstellen zur Blockchain dienen – massen den Stromverbrauch sowie die Produktion der beteiligten Parteien und sandten diese Informationen an die Blockchain, die alle Teilnehmenden miteinander verband. In diese Datenkette, eine Art dezentrales digitales Logbuch, wurden via Smart Meter und Webportal alle Informationen – von den Stromständen über die Präferenzen der Teilnehmenden bis hin zu den gehandelten Strommengen und den dazugehörigen Preisen – geschrieben. Die Blockchain glich die Informationen der Parteien anschliessend miteinander ab, brachte die geeigneten Parteien zusammen und gab schlussendlich die Stromverkäufe frei.

Erfolgreicher Pilotversuch Im vergangenen Januar ging die Feldphase von «Quartierstrom» erfolgreich zu Ende. «Das System lief stabil», so das Fazit von Irene Bättig, Mediensprecherin von Quartierstrom. Demnächst erscheine der Schlussbericht zum Projekt, das vom Bundesamt für Energie im Rahmen des Pilot-, Demonstrations- und Leuchtturmprogramms vom Bundesamt für Energie gefördert wurde. Nur so war es überhaupt möglich, einen solchen lokalen Strommarkt in der Praxis zu erproben, denn laut Gesetz ist dies heute noch nicht zulässig. Am Projekt beteiligt waren diverse Organisationen – unter anderem die Universität St. Gallen mit ihrem Bosch IoT-Lab, die ETH Zürich und die Unternehmen Supercomputing Systems und Swibi.

Zusammenschluss zu Eigenverbrauch

Seit 2018 können sich Bewohner eines Gebäudes oder eines Areals in einem Zusammenschluss zu Eigenverbrauch (ZEV) organisieren. Produzieren die privaten Solarstromproduzenten mehr Strom, als sie im ZEV verbrauchen, können sie diesen ins lokale Verteilernetz einspeisen. Dafür bekommen sie vom jeweiligen lokalen Energieversorger eine Vergütung. Diese Vergütungstarife für ins Netz eingespeiste Energie aus einer Photovoltaik- Anlage mit 10 kVA Leistung variieren jedoch je nach Energieversorgungsunternehmen stark. «Die Vergütung für diesen überschüssigen Strom ist in der Tat je nach Region unterschiedlich», bestätigt Irene Bättig von Quartierstrom. «Ziel eines lokalen Strommarktes wie Quartierstrom ist es, dass die Solarstromproduzenten einen höheren Erlös für ihren überschüssigen Strom erzielen und der Bau von Solaranlagen so attraktiver wird.»

Blockchain im Einsatz

Als zu Beginn dieses Jahres das Projekt Quartierstrom in Walenstadt zu Ende ging, konnte ein ZEV im Kanton Aargau seine ersten autarken Stunden feiern. Auch bei der Überbauung «Im Erlifeld» in Unterentfelden bei Aarau kommt die Blockchain-Technologie zum Einsatz, allerdings nur beim Verrechnungsprozess des Stroms. Mit Strom gehandelt wird im Erlifeld nicht. Die neun Mehrfamilienhäuser mit insgesamt 90 Wohnungen sind mit Luft-, Wasser- und Wärmepumpen zum Heizen, Kühlen und fürs Warmwasser ausgerüstet. Auf allen Dächern sind Photovoltaikanlagen installiert. Vermieter und Mieter rechnen ihre Stromgeschäfte vollautomatisch über die Plattform Ormera ab, die über die private Blockchain von PostFinance und Swisscom läuft.

«Wenn sich Parteien dazu entschieden haben, Solarstrom gemeinsam zu nutzen, bietet Ormera diesen eine Plattform, die es ihnen vereinfacht, den Solarstrom untereinander zu verrechnen», erklärt Angela Bönzli, Marketing Managerin beim Start-up Ormera AG. Die Plattform bewerkstellige dies, indem sie den gesamten Verrechnungsprozess – vom Ablesen des Stromzählers über die Tarifberechnung bis hin zum Kontoabzug – automatisiere. «Für die Nutzer von Ormera fällt der gesamte administrative Aufwand weg. Sie können lediglich die Produktions- und Verbrauchsdaten sowie die berechneten Tarife auf einem Dashboard verfolgen und so ihr Konsumverhalten optimieren. » Wie Quartierstrom will auch Ormera die dezentrale Stromproduktion fördern: Durch die vereinfachte Abrechnungslösung von Ormera sollen mehr Leute zu einem ZEV animiert werden. «Wir helfen ihnen, die administrativen Hürden zu bewältigen», so Bönzli.

Die Verbreitung von ZEVs hängt laut Fabian Baerlocher, Co-CEO von Ormera, dabei aber nicht zuletzt auch von den lokalen Energieversorgern selbst ab: «Generell kann jeder Bauherr einen ZEV gründen. Einige Netzbetreiber bieten jedoch innovative und vor allem einfache und direkte Unterstützung zur Bildung von ZEVs an, andere sind jedoch eher konservativ, was zu grösseren administrativen Herausforderungen führen kann.»

Öffnung des Strommarkts?

Warum sollten sich die Energieversorger aber überhaupt um lokale Strommärkte wie Quartierstrom oder ZEVs wie die Überbauung Erlifeld interessieren? Ist es dem Stromgeschäft nicht abträglich, wenn viele kleine private Stromproduzenten auch Strom anbieten? «Der Energiehandel ist für uns bereits heute nicht mehr interessant – er bringt null Wertschöpfung », beantwortet Christian Dürr, Geschäftsleiter des Wasser- und Elektrizitätswerk Walenstadt, die Gretchenfrage in einem auf dem Quartierstrom-Blog veröffentlichten Interview. Er sehe seine Rolle in Zukunft vermehrt als Infrastrukturbetreiber – nicht nur der lokalen Verteilnetze, sondern auch in Gebäuden. «Dabei können wir auch als Energiedienstleister auftreten, der die Systeme überwacht, optimiert und ein ganzheitliches Energiemanagement übernimmt.»

Bleibt die Frage, ob künftig allen Konsumenten der freie Stromhandel über Plattformen wie diejenige des Projekts Quartierstrom erlaubt sein wird. «Der Strommarkt ist in der Schweiz noch nicht für alle Konsumenten, sondern nur für die Grossen offen», sagt dazu Matthias Galus, Leiter Digital Innovation Office vom Bundesamt für Energie. Der ZEV biete zwar eine beschränkte Interaktion zwischen lokalen Produzenten und lokalen Kleinverbrauchern. Das Energieversorgungsunternehmen bleibe aber – ausserhalb des Eigenverbrauchs – der zwischengeschaltete Mittelsmann, solange es keine volle Strommarktöffnung gebe.

Allerdings wolle der Bundesrat mit der Revision des Stromversorgungsgesetzes den Strommarkt bald für alle Kunden öffnen. Dies kann gemäss Bundesrat den dezentralen Handel und so die dezentrale Stromproduktion aus erneuerbaren Energien erhöhen und gleichzeitig besser in den Strommarkt integrieren. «Das dürfte aber noch ein paar Jahre dauern», so Galus. «Im Vergleich zu der schnellen Entwicklung digitaler Lösungen also eher lange». In der Zwischenzeit werde das Digital Innovation Office die Weiterentwicklung von Blockchain-Lösungen im Energiemarkt weiter unterstützen, damit die involvierten Parteien in Zukunft besser werden zusammenspielen können.

Taugliches Geschäftsmodell

Der lokale Strommarkt im Schwemmiweg läuft derweil im Nachfolgeprojekt Quartierstrom 2.0 weiter, mit automatisierter Preisbildung und ohne Blockchain. Ein Antrag für ein wissenschaftliches Folgeprojekt ist unterwegs.

Weitere gesetzliche Anstösse hin zu einer dezentralen Energieversorgung wären sowohl für den «Quartierstrom» aus Walenstadt als auch für andere zukünftige lokale Energiemärkte bitter nötig, denn: «Unter den aktuellen gesetzlichen Rahmenbedingungen ist kaum ein attraktives Geschäftsmodell für lokale Energiemärkte möglich», so Irene Bättig von Quartierstrom. Dies hätten die verschiedenen Versuche zur Entwicklung von möglichen Businessmodellen für lokale Strommärkte beim Projekt Quartierstrom gezeigt.

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