Weniger Abfall, mehr Wertschöpfung: Die Vorteile vorgelagerter Kreislauflösungen
„Reduce, reuse, recycle“ ist ein weithin anerkanntes Motto der Kreislaufwirtschaft. Aber diese Begriffe haben für Unternehmen und Anleger eine sehr unterschiedliche Bedeutung. Recycling ist in einer Kreislauflösung nur der letzte Ausweg, während die Erweiterung auf vorgelagerte Lösungen zu besseren Ergebnissen für die Umwelt und die Portfolios führen kann.

Obwohl Recycling wichtig ist, sollte es nie als Musterbeispiel für die Kreislaufwirtschaft gelten. Denn es ist unzureichend und ineffizient im Vergleich zu vorgelagerten Lösungen, die die Entstehung von Abfällen von vornherein verhindern. Die EU-Kommission, die weltweit bei der Förderung der Kreislaufwirtschaft eine Führungsrolle einnimmt, hat ihre Vorliebe für vorgelagerte Lösungen untermauert, als sie feststellte, dass 80 % der Umweltauswirkungen auf Entscheidungen zurückzuführen sind, die in der Entwurfsphase der Produktentwicklung getroffen werden.[i]
Recycling – eine unzureichende Lösung
Der Anteil der in der Weltwirtschaft eingesetzten recycelten Materialien liegt derzeit bei etwa 7 % und nimmt weiter ab.[ii] Das bedeutet, dass der überwiegende Teil des Materialbestands, der jedes Jahr in die Wirtschaft eingeführt wird, aus neuen Rohstoffen stammt.
Es ist sicher, dass gesetzliche Massnahmen, die einen höheren Anteil an recyceltem Material vorschreiben, und industrielle Innovationen im Bereich der Recyclingtechnologien die Auswirkungen des Recyclings verstärken und seinen Einsatz in absoluten Zahlen erhöhen. Das reicht allerdings einfach nicht aus, um mit den steigenden Produktionsraten Schritt zu halten. In den letzten fünf Jahrzehnten hat sich die Gesamtmenge der jährlich produzierten Materialien fast verdreifacht (270 %).[iii] Ohne einen deutlichen Einbruch der Nachfrage ist es unwahrscheinlich, dass das Recycling jemals aufholen wird.
Abbildung 1 – Neue Rohstoffe stellen recyceltes Material in den Schatten
Jährlicher Materialverbrauch in der Weltwirtschaft. Rohstoffe, die aus primären (neuen) Quellen in die Wirtschaft gelangen, überwiegen bei weitem solche, die aus bereits vorhandenen, recycelten (sekundären) Materialien stammen.
Quelle: Circularity Gap Report, 2025.
Recycling ist eine kostspielige geringwertige Lösung. Für viele Branchen sind die Kosten für Recycling und Verwertung – Sammlung, Sortierung, Reinigung und Aufbereitung – zu hoch. Recyceltes Bruch- oder Altglas kann zum Beispiel bis zu 20 % teurer sein als Neumaterial.[iv] In den USA liegt der Aufpreis für recycelten Kunststoff gegenüber neuen Polymeren und Harzen bei 25 %.[v] Das ist ein entscheidender Faktor, denn nur 1 bis 7 % der Verbraucher sind bereit, einen Aufpreis für recycelte Materialien zu zahlen.[vi]
Und die Verarbeitungskosten steigen, da die Materialmischungen in den Abfallströmen immer komplexer werden. Der Grenzwertertrag von Multipolymer-Kunststoffen, Textilien aus Mischfasern oder Mehrkomponenten-Elektronik und -Maschinen ist viel geringer als bei einfacheren Materialien wie Glas oder Aluminium. [vii]Ausserdem sind recycelte Materialien oft minderwertiger und weniger funktional, was die potenziellen Einsatzmöglichkeiten und den kommerziellen Wert weiter einschränkt.
Abbildung 2 – Recycelter Kunststoff ist teurer als Neuware (Europa)
Die Grafik zeigt die Preisunterschiede zwischen zwei recycelten PET-Kunststoffsorten (lebensmitteltaugliches Regranulat und transparente Flocken) und neuem PET-Kunststoff in Europa. Recycelte Kunststoffe sind wesentlich teurer. Im Mai lag der Preis für lebensmitteltaugliches Regranulat bei 700 EUR/Tonne und damit 400 EUR höher als für neues PET-Granulat. Lebensmitteltaugliches Regranulat wird nach strengeren Qualitätsstandards verarbeitet und kann z. B. für Lebensmittel- oder Medikamentenverpackungen verwendet werden. Transparente Flocken werden als Ausgangsmaterial für industrielle Anwendungen mit weniger strengen Qualitätskriterien verwendet.
Quelle: S&P Global Commodity Insights, Juni 2025
Die Kraft des vorgelagerten Denkens
Laut Kreislaufwirtschaftsexperten entstehen Abfall und Verschmutzung durch fehlerhaftes Design.[viii] In einer perfekten Kreislaufwirtschaft würde Recycling, wenn überhaupt, nur sparsam eingesetzt werden. Kreislauflösungen werden am besten bereits vorgelagert bei der Konzeption des Produkts angewandt und nicht erst am Ende des Produktlebenszyklus. Das bedeutet, dass langlebige, reparierbare, modulare und biologisch abbaubare Produkte entwickelt werden müssen.[ix] Das bezieht sich auch auf Unternehmen, deren innovative Technologien ihren Kunden ermöglichen, Ressourcen intelligenter zu nutzen und mit weniger mehr zu erreichen.
Beispiele für breites Sektorengagement
- Technologie und Industrie – Obwohl Cloudflare und die Ashtead Group in sehr unterschiedlichen Branchen tätig sind, fördern beide die Kreislaufwirtschaft durch gemeinsame Plattformen, die den Besitz von Anlagen vor Ort durch bedarfsorientierten Zugang ersetzen. Cloudflare vermietet Cloud-Computing- und Netzwerkinfrastruktur an entlegene Standorte, damit die einzelnen Unternehmen keine eigenen Rechenzentren mehr aufbauen müssen.
Die Ashtead Group vermietet Industrieausrüstung, von Gerüsten und Arbeitsbühnen bis hin zu Förderbändern und Elektrowerkzeugen. Modelle zur gemeinsamen Nutzung von Produkten erhöhen die Auslastung der Anlagen und die Langlebigkeit der Produkte dank einer zentralisierten Wartung. Noch wichtiger ist, dass sie einer Volkswirtschaft dabei helfen, mit weniger Ressourcen mehr zu erreichen, wodurch der Bedarf an physischen Vermögenswerten in der gesamten Wirtschaft sinkt.
- Fertigung und Bauwesen – Celestica und Cavco sind zwei herausragende Unternehmen, die gemeinsame Fertigungsdienstleistungen für verschiedene Branchen anbieten. Cavco konzentriert sich auf vorgefertigte Häuser, bei denen die skalierte und optimierte Fertigung und Montage in der Fabrik den Materialüberschuss des Baus vor Ort erheblich verringert.
Celestica stellt für Kunden aus den Bereichen Luft- und Raumfahrt, Energiesysteme, medizinische Geräte und Diagnoseausrüstung elektrische Komponenten in Gemeinschaftsproduktion her. Strenge Fertigungseffizienz und eine striktere Kontrolle der Lieferkettenlogistik tragen zur Reduzierung des Ressourcenverbrauchs bei. Das modulare Design fördert die Instandsetzung und Reparatur von Produkten, wodurch deren Lebensdauer verlängert wird.
- Basiskonsumgüter und Grundstoffe – Sprouts Farmers und Sensient sind gute Beispiele für Kreislauflösungen im Lebensmittel- und Agrarsektor. Sprouts ist ein Supermarkt, der sich auf frische, biologische und lokal angebaute Produkte konzentriert. Weniger Verpackung, chemische Konservierungsstoffe und Transportwege bedeuten insgesamt weniger Emissionen und einen kleineren ökologischen Fussabdruck im Vergleich zu verarbeiteten Lebensmitteln oder Fleischalternativen.
Sensient konzentriert sich darauf, Kunden in der Lebensmittel-, Kosmetik- und Pharmabranche mit Farben, Aromen und speziellen Inhaltsstoffen zu beliefern, die natürlich regenerativ sind und aus Pflanzen und biologischen Quellen stammen.
- Gesundheits- und Umweltdienstleistungen – Halma und Galenica sind Beispiele dafür, wie Kreislauflösungen im Gesundheits- und Umweltbereich eingesetzt werden. Halma entwickelt Technologien für die Sicherheits-, Gesundheits- und Umweltüberwachung – von Reinwassersensoren bis hin zu Brandmeldesystemen –, die Risiken vorbeugen und die Nutzungsdauer von Anlagen verlängern. Mit eigenem Apothekennetz und eigener Logistik verbessert Galenica den Zugang zu Arzneimitteln und beseitigt gleichzeitig Ineffizienzen und Verschwendung im Gesundheitswesen.
Breit gefächertes Engagement
Ein zu grosser Fokus auf nachgelagerte Recycling- und Abfallentsorgungsunternehmen engt das Anlageuniversum ein und schränkt die Ergreifung attraktiver Chancen in allen Wertschöpfungsketten der Branche ein. Die Ausweitung des Portfolios auf Anbieter vorgelagerter Lösungen vergrössert nicht nur das Renditepotenzial des Portfolios, sondern diversifiziert auch das Engagement des Portfolios in verschiedenen Stilfaktoren, darunter wachstumsstarke Innovationen, hochwertige zyklische Werte und defensive Branchengrössen (siehe Abbildung 3).
Abbildung 3 – Gleichgewicht zwischen Wachstum und Stabilität
Die Ausrichtung auf vorgelagerte Lösungen erweitert das Anlageuniversum über verschiedene Branchen und Wachstumszyklen hinweg und erhöht das Renditepotenzial und die langfristige Robustheit des Portfolios in unterschiedlichen Marktumfeldern.
Quelle: Robeco, Stand: September 2025.
Durch die Verlagerung weg vom Recycling hin zu vorgelagerten Lösungen kann ein breites Spektrum von Branchen und Unternehmen mit überzeugenden Geschäftsmodellen und wachsenden Marktanteilen erschlossen werden. Damit wird nicht nur das Potenzial des Portfolios gestärkt, nachhaltige Renditen zu erwirtschaften, sondern auch die Möglichkeit geschaffen, in Unternehmen zu investieren, die einen höheren Wert in Bezug auf Kreislaufwirtschaft und Umweltauswirkungen erzielen.
Wichtiger Hinweis: Die dargestellten Unternehmen dienen nur zur Veranschaulichung der Anlagestrategie zum angegebenen Datum. Die Unternehmen sind nicht notwendigerweise Teil der Strategie, und ihre künftige Integration ist nicht garantiert. Es handelt sich hierbei weder um eine Kauf-, Verkaufs- oder Halteempfehlung, noch soll ein Rückschluss auf die zukünftige Entwicklung dieser Unternehmen gezogen werden.
Anmerkungen:
[i] EU-Kommission, Rede zur Lage der Union, Kreislaufwirtschaft, abgerufen im September 2025.
[ii] Anteil der recycelten Materialien: 6,9 % gegenüber 9,1 %, Circularity Gap Reports 2025 bzw. 2018.
[iii] Volumen der Materialproduktion: 27 Milliarden (1970) gegenüber 106 Milliarden Tonnen (2025). Circularity Gap Report, 2025.
[iv] „Distributors are at the center of circular solutions.“ BCG, November 2022.
[v] „Impact on virgin vs recycled plastics.“ Briefing Note. Institute for Energy Economics and Financial Analysis, November 2024.
[vi] „Consumers are the key to taking green mainstream.“ BCG, September 2022.
[vii] US General Accountability Office (GAO), Textile Recycling Technologies. Juli 2024.
[viii] Ellen MacArthur Foundation, Eliminate waste and pollution webpage. Abgerufen im September 2025.
[ix] Ellen MacArthur Foundation, The technical cycle of the Butterfly Diagram. Abgerufen im September 2025.
Autorin: Natalie Falkman ist Senior Portfoliomanagerin beim Asset Management-Unternehmen Robeco.