Scheinbar paradox: Unsichere Zeiten brauchen Sicherheit

Die Welt steht Kopf und viele, die Sicherheit geben und Vertrauen ausstrahlen sollen, tun das genaue Gegenteil davon. Die nicht abreißen wollenden Krisen werfen Führungskräfte oft auf unwillkürliche Reflexe zurück, die von Angst getriggert werden. Der Schaden kann immens und von Dauer sein – sofern nicht gegengesteuert wird. Wie das geht, verrät dieser Artikel.

Standhaft in Stürmen: Unsichere Zeiten benötigen Sicherheit. (Bild: Unsplash.com)

Es ist nur zu verständlich: Eine Krise jagt die nächste und ein Ende ist nicht in Sicht. Als wäre die gesundheitliche Bedrohung durch das Coronavirus und die davon ausgelöste massive Störung vormals eingespielter Wirtschaftsprozesse und Lieferketten nicht Herausforderung genug, stehen als Folge des Ukraine-Kriegs steigende Inflationsraten und Energie-Engpässe ins Haus. Kein Wunder, dass die Motivation vieler Führungskräfte verbraucht ist, mit immer neuen Hiobsbotschaften umzugehen. Die Herausforderung, von einem Krisenmanagement zum nächsten gezwungen zu sein und den Entwicklungen trotz aller Anstrengungen nur hinterherhecheln zu können, löst oft Gefühle der Unsicherheit, wenn nicht sogar der Ohnmacht aus. Folglich fällt es schwer, den Mitarbeitern die Sicherheit zu vermitteln, die sie angesichts der Krisenunwägbarkeiten bräuchten.  

Akzeptanz der eigenen Grenzen

Was also tun angesichts der kontinuierlich hohen Unsicherheit, die ständig Veränderungen zur Anpassung an die Situation erfordert? Wie umgehen mit den Bedenken und Ängsten, die man selbst hat und die auch die Mitarbeiter heimsuchen? Klar ist, dass das Arbeiten unter Ausnahmebedingungen über lange Zeit hinweg Menschen an ihre Grenzen bringt. Sie agieren dann sukzessive weniger überlegt und selbstbestimmt, sondern folgen zunehmend ihren unwillkürlichen Mustern, die in der Regel unternehmerisch wenig zieldienlich sind, dafür ein großes Schadenspotenzial mit sich bringen. Zu diesen Mustern gehören vermiedene Entscheidungen, hektisches Umsteuern, dünnhäutige Kommunikation, angstgetriebene Starre und andere mehr. Folgerichtig wird damit die Unsicherheit, die Mitarbeiter persönlich ohnehin schon empfinden, deutlich verstärkt. Dabei bräuchten unsichere Zeiten vor allem eines, um beherrschbar zu bleiben: Die Vermittlung von Sicherheit bei gleichzeitiger Anerkennung der Unsicherheit und der Begrenztheit der eigenen Mittel. Das wirkt auf den ersten Blick paradox, doch das ist es nicht. Gerade die Akzeptanz der eigenen Grenzen kann der Schlüssel zum Zurückgewinnen der eigenen Wirksamkeit sein. 

Die Begegnung mit den eigenen Grenzen ist für viele Menschen eine unangenehme Erfahrung. Wir sind geprägt von „höher, schneller, weiter“, von Erfolg und Wachstum, von „der Indianer kennt keinen Schmerz“. Grenzen sind dazu da, um überwunden zu werden, nicht um vor ihnen zu kapitulieren, oder? Diese Haltung, die bereits in „normalen“ Zeiten die Burn-out-Raten in die Höhe treibt, verliert angesichts äußerer Bedrohungen, auf die wir keinen Einfluss haben, vollends ihre Gültigkeit. Es ist zulässig, sich in einer Krisensituation ohnmächtig zu fühlen, keine passenden Antworten parat zu haben, sich einzugestehen, dass die üblichen Lösungsmuster nicht greifen und neue gesucht werden müssen. Wie fühlt sich das für Sie an? Ist das zulässig oder ein No-Go in einer Welt, die mit fester Hand gesteuert werden soll? Möglicherweise melden sich sofort innere Stimmen, die das Einräumen von Unsicherheit als nicht nur groben, sondern auch fahrlässigen Unfug abtun – und schon geht es zurück in unwillkürliche Muster.

Selbstbeobachtung hilft

Um dieser inneren Blockade zu entkommen, ist es sehr nützlich, bei sich selbst anzusetzen, sich aufmerksam zu beobachten und in sich hineinzuhören:

  • Gefühle: Welche Gefühle löst die aktuelle Situation in mir aus?
    Es wäre nicht verwunderlich, wenn sich in den Gefühlen eine Mischung aus Angst, Überraschung, Abneigung, Ohnmacht widerspiegelt und vielleicht noch ein Quäntchen Scham und Schuld obendrauf kommt ob dieses merkwürdigen und ungewohnten Potpourris. Es wäre auch nicht verwunderlich, wenn Sie mit diesen Gefühlen nichts zu tun haben und sie verdrängen wollten. Doch damit sind sie immer noch da und wirken. Daher: Akzeptieren Sie, dass sie da sind. Vielleicht wird es dadurch leichter, dass es nicht nur Ihnen so geht.
  • Werte: Welche Werte stehen hinter meinen Gefühlen und wie verhalte ich mich folglich?
    Leistung, Erfolg, Selbstbestimmung und Anerkennung sind häufige Werte im beruflichen Kontext. Das Streben nach Erfüllung unserer Werte ist in erster Näherung indifferent gegenüber äußeren Einflüssen – leider. In Krisensituationen führt das zu einem verbissenen und oft aussichtslosen Kampf, der mehr hinderlich als nützlich ist und zur Erschöpfung führt. Daher: Hinterfragen Sie die Eignung Ihrer Werte für kritische Situationen und erlauben Sie sich Abweichungen, auch wenn das schwerfällt. Flexibilität, Kurzfrist-Orientierung, Improvisation und ähnliche können nützlich sein.
  • Zieldienlichkeit: Was ist dienlich für das Erreichen meiner Ziele, also dem Gewinn von Klarheit und Sicherheit in unsicheren Zeiten?
    Mit der Akzeptanz Ihrer Gefühle und der Umorientierung bei Ihren Werten legen Sie den Grundstein dafür, aus dem Modus unwillkürlichen und angstbestimmten Verhaltens herauszusteuern und in Ihre Wirksamkeit und Kraft zurückzukommen. Das ist gleichzeitig die Basis dafür, Ihren Blick unverstellt auf die Zieldienlichkeit Ihres Verhaltens und Ihrer Entscheidungen für den Umgang mit der Krisensituation zu richten.
  • Mitarbeiter: Fangen Sie an, mit den obigen Prinzipien auf Ihre Mitarbeiter zuzugehen.
    Antizipieren, erfragen und würdigen Sie deren Gefühle. Offenbaren Sie, wie es Ihnen geht und dass Sie kein Patentrezept anbieten können. Laden Sie dazu ein, gemeinsam nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Damit zeigen Sie Empathie für Ihre Mitarbeiter ebenso wie für sich selbst, bewirken gegenseitiges emotionales Andocken und erzeugen einen gemeinsamen Spirit. Das ist die Grundlage dafür, sich mit vereinten Kräften der Krise entgegenzustellen sowie emotionale Sicherheit und Vertrauen zu vermitteln.

Gefühle entscheiden

So gerne wir es hätten, dass Gefühle im Business keine Rolle spielen und wir auf rein rationaler Basis entscheiden und handeln, so sehr ist dies reines Wunschdenken. Psychologie und Neurobiologie lehren uns, dass der Antrieb für unser Verhalten und Handeln viel mehr in unseren Gefühlen liegt als in unserem Denken. Das geht so weit, dass wir intuitiv getroffene Entscheidungen im Nachhinein rational untermauern. Sicherheit und Vertrauen in unsicheren Zeiten zu vermitteln, ist also ein hoch emotionaler Prozess, der mit Einfühlung gut gelingen kann und wieder in die Handlungsfähigkeit bringt.

 

Buchhinweis: „Der Change-Code – Wie Menschen sich für Veränderungen begeistern und Unternehmen damit gewinnen“

Seit Jahren unverändert gehen drei Viertel aller Change-Programme in Unternehmen schief. Sie verschwenden Geld, zerstören Motivation und lassen Wettbewerbsfähigkeit schwinden. Höchste Zeit, dass der Pfusch beim Change endlich sein Ende findet. Wie das funktioniert, weiß Dieter Lederers Der Change-Code. Er lädt dazu ein, konsequent auf das zu fokussieren, was Menschen brauchen, um sich für Wandel zu begeistern. Denn nur so werden sie Vertrauen entwickeln und eine neue unternehmerische Richtung kraftvoll umsetzen.

Dieter Lederer

Der Change-Code
Wie Menschen sich für Veränderungen begeistern und Unternehmen damit gewinnen

272 Seiten, Hardcover gebunden
ISBN: 978-3-527-51107-5
Wiley-VCH, Weinheim

 

(Visited 279 times, 1 visits today)

Weitere Artikel zum Thema